Nummer 6 – The Prisoner

Nummer 6: the Prisoner

Als die TV-Serie “Nummer 6” mit einer kryptischen Doppelfolge endete, liefen beim britischen Sender die Telefondrähte heiß – aus Protest gegen das Ende der 17 Folgen langen, außergewöhnlichen Produktion mit Patrick McGoohan. Kann man sich 40 Jahre danach noch mit dem Fan-Fieber anstecken? Ja, man kann. Schon aus der Titelsequenz der britischen Serie “Nummer 6” könnte man einen ganzen Kurzfilm machen: Ein Lotus Super Seven fegt über verlassene Straßen, dann durch London. Am Steuer sitzt ein Mann mit leuchtend blauen Augen. Entschlossen stampft er durch endlose Tunnel, unaufhaltsam, reißt Flügeltüren auf, erreicht ein Büro – offenbar das seines Vorgesetzten. Den brüllt er an, knallt ihm ein persönliches Schreiben auf den Tisch und eilt, nun sichtlich zufrieden, nach Hause.

Wessen Großrechner ist das?

Es ist seine Kündigung, und die wird sogleich durch eine bizarr-futuristische Maschinerie weitergeleitet, möglicherweise die Bürokratie des britischen Geheimdienstes. Der – oder jemand anderes – scheint den Abschied aber nicht zu akzeptieren: Kaum zu Hause angekommen, wird der namenlose Ex-Agent betäubt ­- und erwacht auf einer unbekannten Insel in einem surrealen Dorf. Es ist ein SF-Gefängnis: überall Kameras, Videokontrollen und fortgeschrittene Technik. Lautsprecher verkünden fröhliche Parolen und spielen schale Kaufhausmusik. Wer eines der Propaganda-Radios zerschmettert, hat drei Minuten später den Elektriker im Haus, der es repariert. Wer zu fliehen versucht, wird von überlebensgroßen weißen Blobs unerbittlich zurückgeholt. Für diese Hintergrund-Story brauchten die Macher keine Zeile Dialog. Und dennoch ertappt man sich dabei, das Intro bei jeder Folge komplett anzustarren, als läge dort des Rätsels Lösung. Denn gerätselt wird in der Serie “Nummer 6” massiv.

Number Six: Where am I?
Number Two: In The Village.
Number Six: What do you want?

Number Two: Information.

Die geheimnisvollen Wächter-Blobs...

Informationen aber gibt´s nur spärlich. Das Inseldasein ist eine kafkaeske Idylle, der Stadtplan weist die umgebenden Hügel als “the mountains” und die Stadt als “your village” aus, und die einzige Zeitung des Ortes – “the tally ho” – druckt wenig Hilfreiches, gelegentlich auch mal eine Story, die erst noch passieren muss. Alle Insulaner haben Nummern, der Entführte die titelgebende “Nummer 6”. Scheinbarer Boß der Insel ist “Nummer 2”, und ihm brennt in Sachen Nummer 6 eine Frage ganz besonders auf den Lippen: “Warum haben Sie gekündigt?” Nummer 6 hat natürlich seinen eigenen Kopf, keine Lust zu antworten und investiert stattdessen seine ganze Energie in den Versuch, von der Insel zu fliehen. Pro Folge ein Fluchtversuch – 17 Folgen lang.

Number Six: Whose side are you on?
Number Two: That would be telling.

Hört sich langweilig an? Von wegen. Noch heute, 40 Jahre nach dem Serienstart im Jahre 1967, bleiben Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ab Folge 1 am Seher kleben, selbst wenn “Twin Peaks” oder “Lost” (ähnlich rätselhaft) und “The Avengers – Mit Schirm, Charme und Melone” (ähnlich britisch, auf DVD: Teil 1, 2, 3.1, 3.2, 4) nicht zu Ihren Lieblingen zählen. Und Hand drauf – Sie werden sich dabei die ganze Zeit über fragen: Wieso eigentlich gucke ich mir diesen Schmarrn an?

Number Two: We want information. Information. Information.
Number Six: You won´t get it.
Number Two: By hook or by crook, we will.

Nummer 2 im Hauptquartier

Vielleicht bleiben Sie dran wegen der bizarren Kulissen, die nichts von ihrem Charme verloren haben, auch wenn sie nicht mehr ganz so futuristisch wirken mögen wie noch seinerzeit: drahtlose Telefone, Videokonferenzen, Lavalampen-Screensaver und allerlei Gimmicks und Gadgets, wie sie aus Agenten- und SF-Stoffen nicht wegzudenken sind. Ganz sicher auch wegen der kompromisslosen Regie- und Kameraarbeit, die jede Szene zu einem spannenden Vergnügen macht. Und natürlich wegen der cleveren Drehbücher. Hier geht es um Philosophie, nicht um Autojagden: Die wahren Themen der Serie sind Individualismus, Identität und Willensfreiheit, Wissenschaft und Fortschritt sowie Recht und Demokratie (in “The Village” wird der Chef gewählt!). Obendrauf eine dicke Sahnehaube Paranoia: Wer steht auf welcher Seite? Gibt es überhaupt Seiten? Und wenn ja, gibt es eine richtige?

Wem kann man da trauen? In “The Village” möglicherweise niemanden: So mancher Freund und gleichgesinnter Widerstandskämpfer entpuppt sich am Ende als Werkzeug der Obrigkeit, um “Nummer 6” zu täuschen und ihm sein Geheimnis zu entlocken. Und wer auch immer das Sagen hat, ist nicht zimperlich. Bis hin zur psychischen Folter bleibt nichts unversucht, das Rätsel der Kündigung zu knacken.

Beispielhaft dafür kann die Folge “The Schizoid Man” stehen: “Nummer 6” wird über Nacht einer Gehirnwäsche unterzogen, sein Gesicht chirurgisch verändert und ein Doppelgänger als “Nummer 6” eingeführt – der Held dagegen wird nunmehr als “Nummer 12” angesprochen und ist entsprechend versessen darauf, zu beweisen, dass in Wirklichkeit er die Nummer 6 ist. Selten war die Paranoia größer, und so kämpft der Held nicht nur mit Fäusten, sondern auch mit Köpfchen und klugen Dialogen, oft herrlich zynisch-humorvoll.

Number Six: Who are you?
Number Two: The new Number 2.
Number Six: Who is Number 1?
Number Two: You are Number 6.
Number Six: I am not a number – I am a free man!

Übrigens flieht “Nummer 6” nicht in jeder Folge ‘direkt’ (jedes Mal auf eine originelle Art, doch letztlich stets vergebens), in den meisten Episoden zerstört er vielmehr seinen Widersacher, “Nummer 2”. An Nachschub mangelt es nicht: Es finden sich immer neue 2er, kluge und dumme, eitle und bescheidene, subtile und brachiale – doch wer ist die unbekannte “Nummer 1”, die Person, die die wirkliche Macht hat? Die Queen? Ein Super-Computer? Gott?

Number Two: I suppose you´re wondering why you´re here.
Number Six: The thought had crossed my mind.

Schlug die Rolle als Bond aus: der immer sehenswerte (und hörenswerte) Patrick McGoohan

Und überhaupt: Wer zur Hölle denkt sich so was aus? Es war unter anderem Patrick McGoohan, der in der britischen TV-Serie “Danger Man” (´64 -´68) den Geheimagenten John Drake verkörperte. Schon in dieser Serie, so sagt man, quatschte McGoohan mehr hinein als bei Schauspielern üblich. Doch “Danger Man”, einer der besten Agentenserien überhaupt, hat das sichtlich ebenso wenig geschadet wie “Nummer 6”. Dessen Konzept legte McGoohan vor, nachdem er seinen Job als “Geheimagent John Drake” gekündigt hatte – ein Schelm, wer hier eine Koinzidenz sieht. Oder in Orson Welles´ “Der Prozess”-Verfilmung nicht eine wichtige Inspirationsquelle erkennt.

Der gewiss recht eitle McGoohan (der angeblich Angebote für die Rollen “The Saint” und “James Bond” ausschlug) beherrscht die Serie auch als Darsteller: Stets perfekt in Szene gesetzt und dramatischst ausgeleuchtet, sind es er und sein Wille allein, die sich einem an Gegnern, Techniken und Mitteln haushoch überlegenen System entgegen stemmen. Einem System obendrein, das ebenso gut dem militärischen Gegner des kalten Krieges gehören könnte wie den eigenen, misstrauischen Leuten – oder gar einer dritten, noch unbekannten Macht. In einem Mikrokosmos, der sich gummiartig jedem Erklärungsversuch entzieht, sich zudem von Folge zu Folge leicht ändert, in dem überhaupt nicht mehr real zu sein scheint. Kein Wunder, dass selbst die korrekte Reihenfolge der Episoden bei Fans hart umstritten ist.

Number 6: Has it ever occured to you that you are as much a prisoner as I am?
Number 2: My dear chap, of course! I know too much. We are both lifers. I am definately an optimist. That´s why it doesn´t matter who Number One is. It doesn´t matter which side runs the village.

Kurz: Die britische Serie “Nummer 6” müssen Sie gesehen haben. Obwohl fast jede Episode damit endet, dass sich Gitterstäbe über sein Gesicht schieben: Moralisch, intellektuell, physisch – auf seine Weise gewinnt jedes Mal er, “The Prisoner”. Und das sind natürlich wir selbst, sofern wir nur unseren Hintern hochkriegen …

Number 6: I will not be pushed, filed, stamped, indexed, briefed, debriefed, or numbered! My life is my own.

——
Ganz so, als spräche er da über den Zensus 2011
Obiges Review der deutschen DVD-Box erschien ursprünglich im EVOLVER am 28.08.2007.

In der Arte Mediathek videos.arte.tv/de/videos/nummer_6_1_17_-3330626.html können Sie derzeit kostenlos einige Folgen “The Prisoner” sehen. Die beste Fansite ist meiner Meinung nach prisoner.gigacorp.net.

Die DVD-Box könnte man auf Nummer 6 – The Prisoner (7 DVDs) kaufen, könnte, ja, wenn sie denn noch erhältlich wäre. Man muss sich angesichts der armen, angeblich von Filesharern ausgebluteten Filmindustrie schon wundern, wie das möglich ist, das ein wichtiger Sender die Serie ausstrahlt, ohne dass ein Vertrieb aufhorcht und die Chance wittert, mit einer Neuauflage auf derzeit garantiertes Interesse zu stoßen.

Aber: Die Synchronisierung ist sowieso erstens nicht top, zweitens nicht durchgehend vorhanden, drittens lohnt es sich, McGoohan im Original zu hören – er ist ein großartiger Sprecher. Daher lohnt sich Fans englischer Tonspuren auch der Kauf der englischsprachigen Version, zum Beispiel der noch reichlich vorhandene The Prisoner – Complete Series [UK Import]. Ebenfalls sehenswert, wenn auch nicht annähernd so mystisch überhöht (und noch TV-Schwarz-weiß), ist Danger Man mit McGoohan.

Andreas Winterer

Andreas Winterer ist Journalist, Buchautor und Blogger und beschäftigt sich seit 1992 mit Sicherheitsthemen. Auf unsicherheitsblog.de will er digitale Aufklärung zu Sicherheitsthemen bieten – auf dem Niveau 'normaler Nutzer' und ohne falsche Paranoia. Auf der Nachbarseite passwortbibel.de geht's um Passwörter. Bitte kaufen Sie eines seiner Bücher.

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