Kurz dargebrachte Erkenntnisse aus meinem neuesten Crash

Löschen von x ElementenMein billiges Karstadt-Medion-Notebook aus dem Jahr 2002 arbeitet immer noch einwandfrei, die Schrauber-Kiste mit edelstem Quad-Core und Qualitätsboard gab letzte Woche ihren Geist auf. Im Zuge der Neueinrichtung eines neuen Boards (Kauftipp: Asus P8P67 LE (auf Rev. 3 achten wegen Sandy-Bug) mit einem Intel i5 2500, läuft einwandfrei) partitionierte ich versehentlich eine falsche Platte neu und richtete damit mehr Schaden an als das eigentliche Abrauchen des Mainboards.

Gewonnene Einsichten (kurzform unten):

  • Das Windows-7-Backup-Image von C war praktisch. Nicht, weil man damit beim Mainboard-Tausch Windows wiederherstellen könnte (ich jedenfalls wagte kein instabiles System mit Treiberruinen), sondern weil man das VHD-Filet aus dem Backup als Festplatte mappen und dann dieses oder jenes Einstellungs-File übernehmen kann.
  • Daten liegen bei mir auf D. Daten, das ist alles wichtige, also bei mir: Text, Foto, Web und Wassmansobraucht. Backups davon liegen wie das C-Image auf einer zweiten Platte, überhaupt kein Problem, tägliches Datei-Backup.
  • Wichtige nicht-geheime Daten – woran ich gerade arbeite – liegen in der Dropbox. Diese Daten standen weiterhin auf meinem Notebook bereit. Ich hätte also zur Not weiterarbeiten können.
  • Ich verwende Firefox mit Firefox Sync, lasse Chrome mit meinen GMail-Konto synchen, verwende Opera Link und benutze für Internet Explorer die neue Version von Live Mesh aus Live 2011, die außerdem auch Benutzerwörterbücher aus Office synct. Ergebnis: Zwar sind die Passwörter alle neu einzugeben, weil ich die nicht mitsynce, aber der ganze Rest ist ruckzuck wieder im System. Man wünscht sich sowas für FileZilla.
  • Nicht ganz so wichtige, umfangreiche Daten – etwa: Videos aus Urlauben, die noch nicht geschnitten sind; dabei (m)ein Hochzeitsvideo, ungeschnitten; ISO-Images von OSsen aller Art, virtuelle Maschinen aus VMware, VirtualBox und Virtual PC lagen bei mit auf einer Platte, die ich versehentlich neu partitionierte. Diese Daten hatten wegen ihres Umfangs (und weil ich zu geizig war für eine dicke externe Festplatte) kein Backup.
    Folglich sind sie weg.
    Im Datennirvana.
    Ich kratze hier gerade noch den Stand von Februar 2010 von irgendeinem rostigen Datenträger, aber Hoffnung habe ich wenig.
  • Apropos kratzen:
    TestDesk kann sicher viel, mir half es hier nicht.
    Partition Find and Mount fand zwar irgendwelche Partitionen, konkret hilfreich war es nicht.
    PC Inspector lief bei mir nicht (hatte früher mal geholfen).
    Piriform Recuva rettete so manche Datei, selbst nach der Umpartitionierung, und war mir letzlich die größte Hilfe. Nachteil allerdings: Bei einer sehr großen Platte mit vielen (gelöschten) Dateien und einer langen Geschichte wird das Arbeitstempo beim Ändern einer Sortieransicht sehr langsam, zumal keine Möglichkeit besteht, zum Beispiel Filter zu setzen wie “Zeige mir nur, was ohnehin wirklich recoverbar ist”. Statt dessen sieht man alles. Jeden Dateifitzel, der je irgendwo verzeichnet war…
  • Letztlich ist das auch mein Fazit bei Recovery-Tools: Das funktioniert schon, manchmal, ein bisschen, und mühsam, aber letzlich wird dabei auch soviel Schrott wiederhergestellt oder zur Wiederherstellung angeboten, dass der Aufwand außerhalb einfacher Installationen zu hoch wird. (Siehe Screenshot oben: Da lösche ich reataurierten Schrott. Hau wech die Sch*55e.)

Executive Summary:

  1. Image-Backups sind unersetzbar. Ergänzende Datei-Backups auch.
  2. Die “Cloud” mag (in meinen Augen) als reales Arbeitsmittel (noch) nichts taugen. Als Backup-Ergänzung für “die allerwichtigsten” Daten und Dateien leisten Sync-Dienste und Online-Speicher wie DropBox in meinen Augen aber einen unschätzbaren Dienst. (Dass Thunderbird-Mail und FileZilla-FTP sowas nicht haben, fällt dabei richtig auf.)
  3. Recovery-Tools bringen nichts*.
  4. Das Konzept von “Nicht ganz so wichtigen Daten”, für die man “mal eine eigene Platte kaufen sollte, wenn sie billiger sind”, und denen “schon nichts passieren wird”, geht meiner Erfahrung nach nicht auf. (Wer lacht da?) Immer passiert etwas Dummes, meist der User (ich würde mich derzeit selbst auspeitschen, wenn ich die Zeit dazu hätte).

Ich schreite daher zur Formulierung der Winterer’schen Datenexistenzsregel:

Gespeicherte Daten, die nicht zugleich als Backup vorhanden sind, existieren mit einer gewissen Wahscheinlichkeit schon nicht mehr.

Ich führe hiermit zugleich den Begriff der fraktalen Existenz ein: Dinge sind da oder nicht da; Daten jedoch sind anders: Daten sind da (vorhanden, Wert 1) oder nicht da (nie geschrieben, schon gelöscht, Wert 0), und zusätzlich existieren Daten mit gebrochenen Werten von Existenzwahrscheinlichkeit.

Statt “Ich habe alle Fotos auf meinem Notebook gespeichert.” muß man etwas sagen wie

  • “Die Existenzswahrscheinlich meiner Fotos liegt derzeit bei 95%”
  • “Auf dem Notebook?”
  • “Nein, auf dem Notebook liegt sie bei 76 Prozent, so wie ich mit der Mühle umgehe. Aber ich brenne die Fotos auch auf DVD und das erhöht ihre Existenzwahrscheinlichkeit auf …”

Und: Wie bei Atomkraftwerken ist bei Daten-GAUs von der “Wahrscheinlichkeit” des Crashs zu sprechen deutlich sinnvoller, als die “Unwahrscheinlichkeit” des Crashs wortreich zu beschwören. Merke: eine 2-TByte-Platte kostet etwas über 100 Euro. Drei Tage Herumgefummel mit File-Recovery-Utilities kosteten mich viel mehr…


* Eine Anmerkung zu “Recovery-Tools bringen nichts”: Ich hatte mir den Spaß erlaubt, und einfach mal von Recuva alles zu recovern lassen, was es auftreiben konnte. Das Ergebnis waren Zillionen unbrauchbarer Dateien. Aber: Schon anhand der Dateinamen konnte ich Rückschlüsse auf meine Nutzergewohnheiten ziehen. Anders gesagt: Der Einsatz einer solchen Software ist auch mal all jene zu empfehlen, die sehen wollen, was sich auf einer gelöschten (nicht mit Löschprogrammen geshredderten) Platte wiederherstellen läßt. Ich fand Dateien (wenngleich kaputte) aus geradezu biblischen Zeiten…

Andreas Winterer

Andreas Winterer ist Journalist, Buchautor und Blogger und beschäftigt sich seit 1992 mit Sicherheitsthemen. Auf unsicherheitsblog.de will er digitale Aufklärung zu Sicherheitsthemen bieten – auf dem Niveau 'normaler Nutzer' und ohne falsche Paranoia. Auf der Nachbarseite passwortbibel.de geht's um Passwörter. Bitte kaufen Sie eines seiner Bücher.

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